12. Juli, Samstag morgen, viel zu früh. Immerhin ist es schon hell. Wir treffen uns kurz nach sieben in Dällikon zur Abfahrt. Es ist kühl und regnet leicht. Warum stehe ich hier, frage ich mich, im Bett ist es doch so schön warm. Während die Schwimmer eintreffen, verstauen wir Helfer noch die letzten Sachen im Bus und Wohnmobil. Zusammen sind wir zwölf: fünf Sportler und sieben Helfer. Pünktlich macht sich unser kleiner Konvoi auf den Weg nach Le Locle.
Bei der Ankunft ist das Wetter unverändert wenig aufmunternd. Und was ist das? Der Stammplatz des SCR ist belegt durch Schwimmer aus St. Gallen. Marc, seines Zeichens erster Vorsitzender des Schwimmclubs, klärt die Lage und wir bauen unser Basislager nebenan auf. Neben dem Wohnmobil bauen wir ein grosses Party-Zelt, während andere auf der Wiese die Schlafzelte errichten. Nach der wahrscheinlich üblichen Verwirrung wo welche Stange hingehört, steht das Zelt. Und wackelt. Da müssen wir noch nachbessern, bei dem Wind, der hier weht. In der Tat löst sich nach einiger Zeit eine Querstange. Durch engagierten Einsatz menschlicher Heringe wird die Krise aber problemlos bewältigt. Endgültig gelöst wird das Problem des fliegenden Zelts von Andreas S. (Technischer Wart) und Aleksandar «Azo», die Stahlnägel vom Einkauf mitbringen.
Nachdem die grundlegende Infrastruktur angelegt ist, schauen wir uns die Anlage genauer an. Ein 50 Meter Schwimmbecken mit Sprungbecken und kleinem Nichtschwimmerbereich ist das Herz. Angeschlossen daran sind zwei Liegewiesen und durch einen Pfad eine Eisbahn. Sicher ein schöner Platz, um im Sommer Erholung zu finden. Aber es ist kühl und windig. Und ich denke, wir sind alle froh, dass es nicht auch noch regnet.
Im Wohnmobil wird inzwischen das Mittagsmahl bereitet: Nudeln mit Tomatensauce. Unsere beiden Köchinnen Esther und Maike gewöhnen sich an die kleine Küche des Wohnmobils. Pasta mit Sauce, das ist das Standardessen der Schwimmer in Le Locle. Und wahrscheinlich auch das Standardessen vieler anderer Sportler: Viele Kohlenhydrate und wenig Fett.
Nachdem Schwimmer und Helfer verpflegt sind, geht es zur Vorstellung der Mannschaften. Da sehe ich sie zum ersten Mal, diejenigen, die die nächsten vierundzwanzig Stunden immer wieder ins Wasser wollen. Gut finde ich die verschiedenen Arten von Sportlern, die teilnehmen. Sicher sind viele mit einem sehr leistungsorientierten Hintergrund da, aber nicht wenige machen den Ein- druck des Hobby-Schwimmers, der gerne einmal eine neue Herausforderung annimmt.
Unser Team gehört sicher mit zu den Jüngsten: Andreas «Bossi» B. ist schon ein erfahrener Le Locle Hase, der schon fünf Einsätze hinter sich hat. Anja K. kenne ich bereits von ihrem Engagement als Assistenztrainerin beim Langstreckenschwimmen. Geduldig schaute sie sich meinen schlechten Beinschlag an und gab Tipps zur Korrektur. Isabelle stellt sich der Herausforderung zum ersten Mal. Was wird sie erwarten? Ein vierundzwanzigstündiger Wettkampf, anstrengend und ermüdend. Anja R. hat auch schon eine Teilnahme hinter sich. Sie weiss bereits, dass es nachts empfindlich kalt werden kann und welche Überwindung es kostet. Nico ist der jüngste im Team. Ob er sich bei seiner Schwester Anja Ratschläge geholt hat? In vierundzwanzig Stunden wird er eine ganz neue Erfahrung gemacht haben.
Auch bei den Helfern gibt es einige mit Erfahrung und Neulinge. Andreas S. nimmt die Helfereinteilung vor. Aco, Andreas, Marc, Esther (Langstreckenschwimmerin und Mutter von Anja), Barbara (Masseusin), Maike (Langstreckenschwimmerin) und ich haben Schichten von zwei Stunden bekommen, wobei es zwei Hundeschichten von Mitternacht bis drei und dann bis sechs gibt. Gut, dass diese an mir vorbeigegangen sind, aber Aco hat dafür eine Doppelpackung. Eine Helferin ist immer am Becken, und eine im Wohnmobil. Und Barbara steht ständig für Massagen zur Verfügung. Erstaunt bin ich, dass sie bereit ist, ganz auf ihre Nachtruhe zu verzichten. Ich glaube, dafür fehlt es mir an Opferbereitschaft.
Pünktlich um fünfzehn Uhr wird der Startschuss abgefeuert und das Spektakel beginnt. Voller Kraft und Elan tauchen die Sportler in das Becken ein und absolvieren ihre ersten 100 Meter im Wechsel. Nach wenigen Minuten geht es dann wieder ruhiger zu, die regulären Schichten werden geschwommen. Die Athleten unseres Teams schwimmen heute zwanzig Minuten tagsüber und dreissig nachts. Morgen früh dann wieder zwanzig und kurz vor Schluss achtzehn Minuten, um dann im Finale wieder auf 100 Meter Sprints zu wechseln. Als Helfer am Becken weist man die Schwimmer auf die Prozedur vor dem eigentlichen Schwimmen hin. Zuerst die Anmeldung bei den Kommissaren, die mit Rechnern ausgestattet sind, um die geschwommene Streckenlänge jedes Teams aufzuzeichnen. Dadurch stehen sehr schnell aktuelle Zwischenergebnisse zur Verfügung. Dann vereinbaren wir, ob die letzten zweihundert oder hundert Meter vor dem Wechsel mit einem Schild angezeigt werden sollen. Während des Wechsels der Schwimmer ist die einzige Zeit, in der man helfen kann. Sind die Sportler erst einmal im Wasser, sind sie auf sich gestellt. Am Beckenrand stehend, kann ich mich nur fragen, wie das so ist: So lange, so viel, so schnell zu schwimmen?
In der Küche ist die Lage natürlich anders. Hier ist häufig etwas zu tun: Kochen, Snacks zubereiten, Getränke mischen und Schwimmer wecken. Abgesehen von den Bestellungen hat es sich als gute Idee erwiesen, auch ungefragt einen Teller mit Schnitten und Snacks auf den Tisch zu stellen. Wenn das Essen schon in mundgerechten Stücken vorhanden ist und nur der Arm ausgestreckt werden muss, isst sich’s leichter. Und das gilt nicht nur für Schwimmer. Auch wir Helfer profitieren von der guten Versorgung mit Leckereien. Neben Brot mit verschiedenen Auflagen gibt es auch süsse Sachen. Natürlich nur, um die Versorgung mit Kohlenhydraten sicherzustellen. Nein, natürlich auch, weil es lecker ist. Und nach vielen Stunden der körperlichen Anstrengung verlieren die meisten die Lust am Essen.
Nach einer zeitigen Nachtruhe und der Feststellung, dass mein Schlafsack für die herrschenden Temperaturen zu dünn ist, übernehme ich die Schicht am Schwimmbecken von Aco, der in dieser Nacht noch kein Bett gesehen hat. Den Schwimmern ist die lange Zeit und die strapaziöse Nachtarbeit auch anzumerken. Fast alle lassen sich mit viel Melkfett einreiben, um ein wenig Schutz vor den kühlen Temperaturen zu haben. Es ist sicher nicht einfach, die Motivation zu finden, hier immer wieder bei kühlem Wetter in das Wasser zu hüpfen. Unsere Schwimmer halten sich sehr tapfer, alle halten durch.
Zum Ende hin zieht sich der Wettbewerb in die Länge – wie bei allen Ausdauerveranstaltungen. Nichtsdestotrotz bleibt die Moral gut, alle bleiben dabei, alle können noch lächeln. Es ist spannend zu verfolgen, wie die teils noch sehr jungen Athleten mit der Müdigkeit und Anstrengung umgehen. Und dann endlich das Finale! Noch einmal gehen alle Schwimmer wechselweise an den Start, absolvieren ihre 100 Meter. Wir stehen am Rand und verfolgen die letzten Minu- ten des Wettkampfs. Und endlich, um 14:58 Uhr werden die letzten 100 Meter mit Pistolenschuss angekündigt und alle Schwimmer aller Mannschaften sind im Wasser. Anja K. und Andreas B. lassen es sich dabei nicht nehmen, noch einige Meter Schmetterling zurückzulegen. Chapeaux, bleibt da nur zu sagen.
Als alle im Ziel sind, wird die wohlverdiente Flasche Schampus geöffnet und noch im Becken verzehrt. Auch Aco wird ins Wasser befördert und darf schwimmen. Die Stimmung ist ausgelassen und alle sind froh, es geschafft zu haben. Und stolz. Die Schwimmer zu Recht auf ihre eindrucksvoll abgelegte Leistung, wir Helfer, weil wir am Erfolg mitwirken durften. Dann geht alles recht schnell. Die kleine Zeltstadt verschwindet von der Liegewiese, unser mühevoll befestigtes Partyzelt wird zerlegt, Bus und Wohnmobil beladen. Noch während der Siegerehrung, zu der leider nicht mehr alle Mannschaften anwesend sind, verheisst der Himmel wenig Gutes. Und in der Tat werden wir mit Regen aus Le Locle verabschiedet und so werden auch wir Helfer ein wenig nass…